Einführung: Elke Kania, Kunstwissenschaftlerin, Köln
„Was für einen Zweck hat es, dass man ein Bild macht, dass genau wie die Natur sein soll, und alle wissen: Gerade die Natur kann ein Bild nicht sein, und soll und darf es auch nicht sein. Wer ist bloß auf den Einfall gekommen, dass die Natur nur was zum sehen ist. Wer die Natur wirklich kennt, kann sie eher hören als sehen, fühlen als riechen, ja, weiß Gott, und vor allem ist man sie doch. Ganz gewiss ist die Natur vor uns, und hinter uns; sie ist über und unter einem, ja, und in einem drin; aber hauptsächlich ist sie doch in der Zeit, verändert sich ständig und gleitet ständig, ist mit jedem Augenblick anders, aber nie in einem viereckigen Rahmen.“ (Halldór Laxness, Atomstation, 1948)
‘viriditate’ ist der Titel der Ausstellung von Nicola Schrudde und Michael Seeling. Damit beginnt eine neue Reihe, die sich unter verschiedenen Aspekten mit dem Verhältnis von Natur und Kunst auseinandersetzt. Dabei wird in der Kunst Natur einerseits als Basis und Gegensatz zur Kultur, anderseits als ästhetische Einheit der Wahrnehmung und Vorstellung begriffen.
Nicola Schrudde konzipiert für den Kunstverein eine neue Installation. Landschaftsartige Inszenierungen von keramischen Plastiken und raumstrukturierende Videointerventionen involvieren assoziationsreich die Anmutung des Natürlichen. Sie verwandeln sich zu kontemplativen Situationen, die den tatsächlichen dreidimensionalen Raum durch visuelle „Überblendungen“ der Elemente poetisch verunklären. Menschliche Wahrnehmung und Raumkonzepte werden durch sinnliche Ereignishaftigkeit an den unscharfen Übergängen zwischen Natur, Kunst und Technologie behandelt.
Michael Seeling zeigt eine große Kakteenpflanzung mit Zeichnungen. Für seine Pflanzungen ist neben der skulpturalen Erscheinung der Kakteen der kulturgeschichtliche Hintergrund wichtig, der in den Zeichnungen aufgegriffen wird. Das Abbild des Motivs wird mit seinen textlichen Beschreibungen konfrontiert und verwoben, Zeichen und Wörter verschmelzen zu Konglomeraten, die sich damit einer Lesbarkeit entziehen. Der bildliche Ausdruck überformt das inhaltliche Verständnis. Das Ganze lässt ein weitgreifendes Geflecht von kulturell- und zivilisationsbedingten Verknüpfungen aufscheinen.
Die Photosynthese hat vor drei Milliarden Jahren die Verwandlung der Erde in eine Vielfalt des Lebens hervor gebracht. Der Ausstellungstitel viriditate weißt darauf hin: im Grün, durch das Grün, mit dem Grün: vor dem Hintergrund von Betrachtungen der Natur entwickelt sich das bildhauerische handeln sowohl bei Nicola Schrudde, als auch bei Michael Seeling, welches sich in ganzheitlichen räumlichen Bildern äußert.